Geschäftsbericht 2015 für die Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württemberg

Datum: 23.02.2016

1. Dem Gesetzgeber fehlt der Gestaltungswille im Arbeitsrecht 

2. Geschäftsentwicklung der Arbeitsgerichtsbarkeit im Jahr 2015 

3. Die Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württemberg feiert ihren 60. Geburtstag 

4. Gute Erfahrungen mit dem Güterichterverfahren auch im Berufungsrechtszug 

5. Wichtige Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts im Jahr 2015 

6. eJustice in der Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württemberg 

7. Ausblick auf anstehende Verfahren im Jahr 2016 



1.  Dem Gesetzgeber fehlt der Gestaltungswille im Arbeitsrecht 

Im Dezember 2015 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vorgelegt. Mit diesem Gesetzentwurf will das Ministerium die Arbeitnehmerüberlassung stärker regulieren und Missbräuchen beim Werkvertragseinsatz in den Unternehmen vorbeugen. 

Ein weiteres Mal greift der Gesetzgeber damit punktuell in die Arbeitsrechtsordnung regulierend ein. In der ersten Hälfte der Legislaturperiode geschah dies in gleicher Weise mit dem Mindestlohngesetz und dem Tarifeinheitsgesetz. Das Neue an dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf zur Arbeitnehmerüberlassung und zum Werkvertragseinsatz ist, dass der Gesetzgeber erstmals den Versuch unternimmt, die wichtigste Grundlage des deutschen Arbeitsrechts zu regeln, den sog. Arbeitnehmerbegriff

So wünschenswert es ist, dass der Gesetzgeber überhaupt im Arbeitsrecht tätig wird, so bruchstückhaft bleiben doch seine Aktivitäten. Nicht nur der Wunsch der arbeitsrechtlichen Praxis nach einer umfassenden Kodifizierung des deutschen Arbeitsrechts bleibt unerfüllt. Selbst vor seit langem erforderlichen Rechtsbereinigungen „drückt“ sich der Gesetzgeber. So ist der europarechtswidrige § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach bei der Berechnung der Kündigungsfristen vor dem 25. Lebensjahr liegende Beschäftigungszeiten nicht berücksichtigt werden, immer noch nicht gestrichen. Die Praxis muss sich mit einer Fußnote in den arbeitsrechtlichen Textausgaben behelfen, wonach die Norm gegen europäisches Recht verstößt und daher nicht anzuwenden ist. 

Im Bundesurlaubsgesetz, in dem aufgrund der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „kein Stein mehr auf dem anderen geblieben ist“, unterlässt der Gesetzgeber die erforderlichen gesetzlichen Anpassungen des nationalen Rechts an das Unionsrecht. Den Streit über die Reichweite des sogenannten Vorbeschäftigungsverbots bei der sachgrundlosen Befristung (§ 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG) könnte der Gesetzgeber mit einem Federstrich beseitigen; er handelt aber nicht. Der Bürger wird bei der Lektüre der gesetzlichen Regelung geradezu in die Irre geführt, weil der Gesetzeswortlaut nicht mit der Rechtsprechung im Einklang steht. 

Es bleibt die ernüchternde Feststellung, dass dem Gesetzgeber der Gestaltungswille im Arbeitsrecht fehlt. Die gesetzgeberischen Aktivitäten erschöpfen sich in einem Abarbeiten des Koalitionsvertrags und damit in punktuellen Eingriffen in das Arbeitsrecht. Bedauerlicherweise macht der Gesetzgeber von seinen Gestaltungsmöglichkeiten keinen Gebrauch und drängt die Arbeitsgerichte in die Rolle des Ersatzgesetzgebers. 

 

2.  Geschäftsentwicklung der Arbeitsgerichtsbarkeit im Jahr 2015 

a) Arbeitsgerichte 

Die nach wie vor gute Konjunktur hat bei den Arbeitsgerichten erster Instanz im Jahr 2015 zu leicht sinkenden Verfahrenseingängen geführt. So belief sich die Zahl der Eingänge am Ende des Jahres 2014 auf 41.238 Verfahren. Im Vorjahr waren es 42.246 Verfahren. Die Zahl der am Jahresende 2015 unerledigten Verfahren nahm etwas ab. Sie betrug 10.700 Verfahren (Vorjahr: 11.187 Verfahren). Die durchschnittliche Verfahrensdauer blieb mit 2,7 Monaten konstant. 

Der Anteil der Verfahren, die in erster Instanz durch gerichtlichen Vergleich beigelegt werden konnten, übertraf mit 72,5 % nochmals das Niveau des Vorjahres (damals: 71,7 %). Durch das Güterichterverfahren konnte ein weiterer Beitrag dazu geleistet werden, dass die Verfahren ohne einen „Gang durch die Instanzen“ beigelegt werden können. Der Anteil der Verfahren, die durch eine streitige Entscheidung erledigt wurden, betrug 6,1 % (Vorjahr: 6,0 %). 

Die Erledigungsart lässt erkennen, mit welchen Verfahrensgegenständen die Arbeitsgerichte befasst waren. 74,1 % der Verfahren hatten nur einen Verfahrensgegenstand. Davon entfielen auf Bestandsstreitigkeiten 44,5 % (davon Kündigungen 43,8 %), Zahlungsklagen 20,8 %, Tarifliche Eingruppierungen 0,4 % und Sonstiges 8,4 %. Bei den Verfahren mit mehreren Verfahrensgegenständen (25,9 %) entfielen auf Bestandsstreitigkeit und Zahlungsklage 5,9 %, Bestandsstreitigkeit und Sonstiges 7,8 %, Bestandsstreitigkeit, Zahlungsklage und Sonstiges 4,2 % und Zahlungsklage und Sonstiges 7,9 %. Die Übersicht zeigt, dass die Bestandsstreitigkeiten trotz der guten konjunkturellen Lage immer noch den Schwerpunkt der arbeitsgerichtlichen Verfahren ausmachen. 

b) Landesarbeitsgericht 

Auch beim Landesarbeitsgericht schlug sich die gute Konjunktur in etwas geringeren Eingängen nieder. So belief sich die Zahl  der Eingänge Ende des Jahres 2015 beim Landesarbeitsgericht auf 2.256 Verfahren. Im Vorjahr waren es 2.425 Verfahren. Die Zahl der am Jahresende 2015 unerledigten Verfahren nahm etwas zu. Sie betrug  809 Verfahren (Vorjahr: 765 Verfahren). 

Der Anteil der durch Vergleich erledigten Verfahren belief sich beim Landesarbeitsgericht auf 37,8 %, der Anteil der durch streitige Entscheidung erledigten Verfahren auf 38,8 %. In den Berufungsverfahren war die Verfahrensdauer mit 6,2 Monaten etwas länger als im Vorjahr (Vorjahr: 5,3 Monate). 

82,2 % der Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht hatten nur einen Verfahrensgegenstand. Davon entfielen auf Bestandsstreitigkeiten 31,3 % (davon Kündigungen 30,5 %), Zahlungsklagen 35,8 %, Tarifliche Eingruppierungen 3,0 % und Sonstiges 12,1 %. Bei den Verfahren mit mehreren Verfahrensgegenständen (17,8 %) entfielen auf Bestandsstreitigkeit und Zahlungsklage 8,0 %, Bestandsstreitigkeit und Sonstiges 3,2 % und sonstige Verfahren mit mehreren Gegenständen 6,6 %. Die Übersicht zeigt, dass sich die Bestandstreitigkeiten und die Zahlungsklagen beim Landesarbeitsgericht in etwa die Waage halten. 

c)  Bewertung 

Wie bereits seit einigen Jahren festzustellen, nimmt die Komplexität der arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten ständig zu. Vor allem Streitigkeiten über Betriebsrenten binden einen erheblichen Anteil der richterlichen Arbeitskraft. Die Verfahren sind nicht nur äußerst umfangreich. Sie werfen darüber hinaus schwierige rechtliche und betriebswirtschaftliche Fragen auf. So müssen die Richter bei Streitigkeiten über die Anpassung von Versorgungsleistungen in der Lage sein, Bilanzen und andere betriebswirtschaftliche Unterlagen fachkundig zu beurteilen. 

Bei zahlreichen anderen Rechtsstreitigkeiten macht sich der zunehmende Einfluss des Unionsrechts bemerkbar. Die Entscheidung von Streitigkeiten über Betriebsübergänge, Massenentlassungen und Urlaubsansprüche ist heutzutage ohne die Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr möglich. Da der Europäische Gerichtshof stets nur punktuell auf Vorlagen der nationalen Gerichte entscheiden kann, ist eine klare Linie der Rechtsprechung nicht immer erkennbar. 

 

3.  Die Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württemberg feiert ihren 60. Geburtstag 

Die Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württemberg feiert im Jahr 2016 ihren - offiziellen - 60. Geburtstag und ihren - inoffiziellen - 70. Geburtstag. Gegründet wurde die Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württemberg durch das Gesetz über die Gerichte für Arbeitssachen vom 15. Februar 1956. Aber bereits Ende des Jahres 1946 wurden die ersten arbeitsgerichtlichen Spruchkörper nach dem 2. Weltkrieg gebildet. Dieser doppelte Geburtstag soll anlässlich einer Veranstaltung mit Gästen aus der Politik, der Justiz, den Verbänden, der Rechtsanwaltschaft und der Wissenschaft am 20. April 2016 gefeiert werden. 

Aus Anlass des Geburtstags wird eine Festschrift zur Geschichte der Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württemberg erscheinen. Bei der Vorbereitung der Festschrift sind viele, bislang unbekannte Fakten über die Geschichte der Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württemberg zu Tage gekommen. So war bisher weithin unbekannt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Nichtjuristen zu Berufsrichtern in der Arbeitsgerichtsbarkeit ernannt wurden. Zumeist handelte es sich um Männer aus der Gewerkschaftsbewegung, die aufgrund ihrer früheren Tätigkeit Erfahrungen im Arbeitsleben mitbrachten und wegen ihres Widerstands gegen das Hitler-Regime politisch unbelastet waren. Bis Mitte der siebziger Jahre waren diese Nichtjuristen als Berufsrichter tätig und leisteten einen hervorragenden Beitrag beim Aufbau der Arbeitsgerichtsbarkeit nach dem Zweiten Weltkrieg. 

Ebenso weitgehend in Vergessenheit geraten war die Tatsache, dass es Mitte/Ende der siebziger Jahren im Zuge des sog. Radikalenerlasses der Bundesregierung und der Länder bei den Arbeitsgerichten zu zahlreichen Prozessen über die Einstellung von „linken“ Bewerbern/innen in den öffentlichen Dienst kam. Etwa zum selben Zeitpunkt gipfelten die heftigen Auseinandersetzungen beim „Daimler“ zwischen der IG Metall und der sog. Plakatgruppe um Willi Hoss in einer spektakulären Betriebsratswahlanfechtung beim Arbeitsgericht Stuttgart. Ein früher Fall des Whistleblowing beim Arbeitsgericht Karlsruhe führte schließlich Ende der siebziger Jahre zu strafgerichtlichen und politischen Folgen, weil der damalige Bezirksleiter der IG Metall Franz Steinkühler die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen heftig kritisiert hatte. 

 

4. Gute Erfahrungen mit dem Güterichterverfahren auch im Berufungsrechtszug 

Als erste Gerichtsbarkeit im Land Baden-Württemberg hat die Arbeitsgerichtsbarkeit am 1. Januar 2015 das sogenannte Güterichterverfahren flächendeckend bei allen Arbeitsgerichten eingeführt. Dieses Verfahren macht es möglich, dass der sogenannte Prozessrichter einen Rechtsstreit vor einen nicht entscheidungsbefugten Güterichter verweist. Dieser kann in freier Verfahrensgestaltung alle Methoden der Konfliktbeilegung einschließlich der Mediation einsetzen. 

Das Güterichterverfahren hat sich nun auch beim Landesarbeitsgericht bewährt. In einem im Jahr 2015 eingegangenen Masseverfahren von mehr als 50 Rechtsstreitigkeiten kam es zu erheblichen Spannungen zwischen den Parteien, die zu einer Eskalation der Aus-einandersetzung führten. Hierüber berichtete auch die Presse mehrfach. Auf Anregung des Landesarbeitsgerichts vereinbarten die Parteien schließlich, die Verfahren an den Güterichter des Landesarbeitsgerichts zu verweisen. Dieser unternahm in drei mehrstündigen Sitzungen den Versuch einer gütlichen Einigung. 

Eine solche Einigung konnte zwar nicht in der Weise erzielt werden, dass die Verfahren insgesamt beendet wurden. Allerdings konnte durch Zutun aller Parteien eine Regelung gefunden werden, die eine für die Parteien zufriedenstellende Konfliktlösung für die Dauer der Rechtsstreitigkeiten beinhaltet. Allen Klägern wurden für die Dauer des Rechtsstreits Arbeitsplätze angeboten, um eine weitere Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Damit konnte eine erhebliche Deeskalation der Auseinandersetzung erzielt werden. 

 

5.  Wichtige Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts im Jahr 2015 

Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen im Jahr 2015 die sog. EnBW-Verfahren. Die insgesamt 88 Verfahren betrafen die Fragen, ob im EnBW-Konzern die (besseren) älteren Versorgungsordnungen durch (schlechtere) neuere Regelungen abgelöst werden durften. 

Die ganz überwiegend noch im EnBW-Konzern beschäftigten Kläger beriefen sich bezüglich ihrer betrieblichen Altersversorgung auf ältere Betriebsvereinbarungen, die noch von Rechtsvorgängern des heutigen EnBW-Konzerns (EVS, TWS, NWS) abgeschlossen worden waren. Im Rahmen eines 2002 beschlossenen Ergebnisverbesserungs- und Sparprogramms (“TOPFIT") der EnBW sollten plangemäß jährlich insgesamt 1 Milliarde € und davon bei den Betriebsrenten 10 Millionen € eingespart werden. In Vollzug dieses Plans wurden 2004 für die Beschäftigten verschlechternde Betriebsvereinbarungen abgeschlossen. Die Kläger wollten in den Verfahren festgestellt wissen, dass sich ihre Betriebsrenten nach den älteren Versorgungsordnungen richten. 

Einige der Verfahren waren bereits in den Jahren 2013/2014 an das Bundesarbeitsgericht gelangt. Dieses hob in mehreren Urteilen am 9. Dezember 2014 und 16. Juni 2015 die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts auf und verwies die Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück. In seinen Urteilen vertrat das Bundesarbeitsgericht die Auffassung, das Landesarbeitsgericht habe in den vorangegangenen Urteilen zu hohe Anforderungen an die Darstellung der ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung des EnBW-Konzerns im Jahr 2003 gestellt. 

In allen am 3. und 4. Dezember 2015 verhandelten Verfahren (2 Sa 21/14 und weitere 87 Urteile) wies das Landesarbeitsgericht die Klagen nunmehr ab. Unter Zugrundelegung der neuesten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lagen im maßgeblichen Zeitraum 2003 im EnBW-Konzern aus der Sicht eines vernünftigen Unternehmers wirtschaftliche Schwierigkeiten vor, die zu einer Ablösung der betrieblichen Altersversorgung berechtigten. Das Landesarbeitsgericht ließ in allen Fällen die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht erneut zu. 

 

6.  eJustice in der Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württemberg 

Am 21. Juli 2014 hat das Justizministerium Baden-Württemberg mit einem eJustice-Tag den Startschuss für die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der     elektronischen Akte in der baden-württembergischen Justiz gegeben. Mailverkehr, Internet-shopping und online-Banking sind für viele Bürger bereits selbstverständlich. Die Justiz muss mit diesen Entwicklungen Schritt halten. Sie muss modern und bürgernah kommunizieren. 

Ende September 2015 hat der vom Justizministerium beauftragte Dienstleister den Prototyp einer eAkten-Software vorgestellt. Zur Zeit sind die Mitarbeiter/innen des eJustice-Projekts damit befasst, die Software „auf Herz und Nieren“ zu prüfen. Anlässlich eines zweiten eJustice-Tags am 4. November 2015 wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz über den aktuellen Sachstand des eJustice-Projekts informiert. Außerdem wurden beim Arbeitsgericht Stuttgart und beim Landgericht Mannheim Arbeitsplatzlabore eingerichtet, in denen die Beschäftigten der Justiz die neue Hard- und Software kennenlernen und ihre Einschätzung hierzu abgeben können. 

Im April 2016 werden beim Arbeitsgericht Stuttgart und beim Landgericht Mannheim Pilotprojekte zur Erprobung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte starten. Beim Arbeitsgericht Stuttgart werden sich vier Kammern an der Pilotierung beteiligen. Die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände haben sich erfreulicherweise entschlossen, an der Pilotierung teilzunehmen. Auch die Anwaltschaft soll für eine Beteiligung an der Pilotierung gewonnen werden. Das Arbeitsgericht Stuttgart ist das erste Arbeitsgericht in Deutschland, das sowohl den elektronischen Rechtsverkehr als auch die elektronische Akte erprobt. In den anderen Bundesländern wird bisher nur der elektronische Rechtsverkehr pilotiert, während an der bisherigen Papierakte vorläufig festgehalten wird. Die in Baden-Württemberg geplante Pilotierung zielt demgegenüber darauf an, Medienbrüche durch eine Umwandlung von elektronischen Dokumenten in Papier und umgekehrt weitgehend zu vermeiden. 

 

7.  Ausblick auf anstehende Verfahren im Jahr 2016 

a)  Arbeitskampf bei Amazon in Pforzheim 

Amazon will der Gewerkschaft ver.di im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände verbieten lassen 

Bei Unternehmen der Amazon-Gruppe fanden seit April 2013 mehrere Streiks statt. Die Gewerkschaft ver.di forderte die Amazon Pforzheim GmbH im Rahmen dieses Arbeitskampfes dazu auf, mit ihr in Verhandlungen über den Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages hinsichtlich der Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels in Baden-Württemberg einzutreten. Dies lehnte Amazon ab. Am 21. und 22. September 2015 kam es deshalb zu Streikmaßnahmen vor dem Haupteingang auf dem Betriebsgelände von Amazon. Dabei versammelten sich zeitweise ca. 35 Personen. Es wurden zeitweise mehrere größere Trommeln aufgebaut und Flugblätter verteilt, die zum Streik aufriefen. 

Im vorliegenden am 22. September 2015 beim Arbeitsgericht Pforzheim eingegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren verlangt Amazon von ver.di die Unterlassung von weiteren Streikmaßnahmen auf ihrem Betriebsgelände und bei Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 €. Amazon ist der Ansicht, dass sie auf ihrem privaten Betriebsgelände keine Streikmaßnahmen dulden müsse. Der Bereich vor dem Haupteingang, der sich zwischen den Betriebsgebäuden und angemieteten Pkw-Parkplätzen befinde, sei eindeutig privates Betriebsgelände. Ver.di werde nicht in ihrem Streikrecht beeinträchtigt, wenn die Arbeitskampfmaßnahmen außerhalb des Betriebsgeländes stattfinden müssten. Auch die besondere Eilbedürftigkeit für den Erlass einer einstweiligen Verfügung sei gegeben, da ver.di weitere Streikmaßnahmen angekündigt habe. 

Ver.di ist der Auffassung, dass im vorliegenden Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz keine besondere Eilbedürftigkeit bestehe. Die Streikmaßnahmen seien am 22. September 2015 beendet worden. Im Übrigen wäre das Grundrecht auf Streik erheblich verletzt, wenn ver.di nicht vor dem Haupteingang, sondern nur weit davon entfernt vor der Einfahrt der großen Parkplätze Streikmaßnahmen durchführen dürfe. Das Streikrecht umfasse auch, dass arbeitswillige Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen persönlich angesprochen werden könnten. 

Das Arbeitsgericht Pforzheim hat die Anträge von Amazon mit Urteil vom 23. September 2015 (5 Ga 4/15) zurückgewiesen, weil nach Beendigung der konkreten Streikmaßnahmen keine besondere Eilbedürftigkeit für den Erlass einer einstweiligen Verfügung mehr bestehe. Mit der Berufung verlangt Amazon weiterhin die Untersagung von Streikmaßnahmen auf ihrem Betriebsgelände. 

Berufungsverhandlung am Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg am Mittwoch, 24. Februar 2016 um 11:00 Uhr in Saal 4 (2 SaGa 1/15) 

b) 59 Klagen auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses gegen Werzalit in Oberstenfeld 

Die Parteien streiten in erster Linie darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Kläger im Jahr 2011 im Wege eines Betriebsüberganges von der Werzalit GmbH & Co.KG (Werzalit) auf eine andere, damals neu gegründete Gesellschaft, die heutige FHK Fertigungsgesellschaft Holz-Kunststoff GmbH + Co.KG (FHK), übergegangen ist. 

Die Kläger wurden im Jahr 2011 von ihrer Arbeitgeberin, der Werzalit, darüber informiert, dass ihre Arbeitsverhältnisse zum 1. April 2011 auf die FHK übergehen. Werzalit und FHK hatten im März 2011 eine Vereinbarung abgeschlossen, nach der die neu gegründete FHK die Herstellung der Werzalit-Produkte in Lohnfertigung übernehmen und den Betrieb führen sollte. Die Kläger widersprachen dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse damals nicht und arbeiteten an ihren bisherigen Arbeitsplätzen weiter. Im Jahr 2013 beschlossen die Gesellschafter der FHK, die Gesellschaft zu liquidieren und den Betrieb zu schließen. Im Jahr 2014 wurden die Kläger von der FHK mit dieser Begründung gekündigt. 

Hiergegen erhoben die Kläger Kündigungsschutzklage und machten im Verlaufe des Verfahrens - unter Einbeziehung der Werzalit in den Rechtsstreit - geltend, in Wirklichkeit seien ihre Arbeitsverhältnisse im Jahr 2011 nicht auf die FHK übergegangen, sie bestünden nach wie vor mit Werzalit fort. Die Voraussetzungen für einen Betriebsübergang iSd. § 613 a BGB seien nicht gegeben. 

Das Arbeitsgericht Stuttgart - Kammern Ludwigsburg - hat unterschiedlich entschieden. Während es in Urteilen vom 8. Mai 2015 der Auffassung der Kläger gefolgt ist, einen Betriebsübergang verneint und festgestellt hat, dass zwischen den Klägern und der Werzalit Arbeitsverhältnisse bestehen, hat es in späteren Urteilen vom 17. Juli 2015 einen Betriebsübergang bejaht und die gegen Werzalit gerichtete Klage abgewiesen. Beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg sind in acht Kammern insgesamt 59 Berufungsverfahren anhängig. 

Die Auftaktverhandlungen der 3. Kammer (5 Berufungsverfahren) finden am 25. Februar 2016 um 10.30 Uhr im Saal 5 des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, Börsenstraße 6, 70174 Stuttgart statt. Die weiteren Verhandlungen der anderen Kammern finden im Zeitraum vom 26. Februar 2016 bis 19. April 2016 statt. 

c)  Einstweilige Verfügung gegen das Möbelhaus XXXL-Mann Mobilia 

In einem Beschlussverfahren (einstweilige Verfügung) beim Arbeitsgericht Mannheim (1 BVGa 2/16) begehrt der Betriebsrat des gemeinsamen Betriebs der LH Service GmbH Co. KG, der LH Zustell GmbH & Co. KG sowie der LH Lager GmbH & Co. KG (Möbelhaus XXXL-Mann Mobilia) die Untersagung der „Betriebseinschränkungen“ am Standort Mannheim. Das Möbelhaus hatte Anfang Februar fast 100 Arbeitnehmer von der Arbeit freigestellt. 

Nicht Gegenstand des Verfahrens ist, ob die von der LH Service GmbH Co. KG erklärten Freistellungen im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern rechtmäßig sind. Dies wird im vorliegenden Eilverfahren nicht geprüft, weil es nur um die mögliche Verletzung der Rechte des Betriebsrats (Beratungsrecht zum möglichen Abschluss eines Interessenausgleichs) geht und nicht um die Individualrechte der einzelnen Arbeitnehmer. 

Gegenstand der Verhandlung beim Arbeitsgericht Mannheim war die Frage, ob die Betriebsvereinbarung vom 25. April 2014 zur Verlängerung der Standortgarantie Grundlage für den Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung einer möglichen Betriebsänderung sein kann. Außerdem wurde erörtert, ob es überhaupt einen Anspruch des Betriebsrats darauf gibt, im Falle der Verletzung seiner Beteiligungsrechte aus § 111 BetrVG die Betriebsänderung zu unterlassen. Ein solcher Anspruch ist gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen, wird aber von vielen Arbeitsgerichten befürwortet. Von anderen Arbeitsgerichten hingegen wird ein solcher Unterlassungsanspruch abgelehnt. Eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts steht bislang noch aus. 

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats am 16. Februar 2016 abgewiesen. Der Betriebsrat hat bereits angekündigt, hiergegen Beschwerde beim Landesarbeitsgericht einzulegen.
 

Dr. Eberhard Natter

Präsident des Landesarbeitsgerichts

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